Tote leben länger

Als Isabel Bredenbröker zum ersten Mal durch die Straßen der südghanaischen Kleinstadt Peki ging, wurde ihre Aufmerksamkeit von großformatigen Plakaten gebannt, die die Straßen säumten und von denen die kürzlich Verstorbenen der Stadt auf die Flanierenden, die Verweilenden und die geschäftig Vorbeieilenden herabblickten. Denn an vielen Hauswänden transportieren Gedenkplakate die Gesichter der Toten in den Alltag der Lebenden. Die Toten der Gemeinschaft haben so in Peki eine starke öffentliche Präsenz. Heute blickt uns eine dieser verstorben Töchter der Stadt im Landesmuseum an. Das in der Ausstellung „Tote leben länger“ gezeigte Bild gedenkt der Mutter eines traditionellen Chiefs in Peki. Gedenkplakate, in Ghana obituary banner genannt, werden von Designer*innen vor Ort nach den Wünschen der Familienmitglieder gestaltet. Stockfotos aus dem Internet und Fotografien der Verstorbenen werden zu künstlerischen Arrangements, die teils mehrere Jahre im öffentlichen Raum verbleiben.

Der ersten Faszination folgte eine mehrjährige sozialanthropologische Forschungsarbeit von Isabel Bredenbröker darüber, wie die Menschen in Peki mit dem Tod umgehen und ihre Verstorbenen begleiten. In dieser Zeit ließ Isabel sich von einer Bestatterin darin ausbilden, wie man Tote angemessen zur letzten Ruhe bettet, lernte, wie man ein Grab nachhaltig schmückt und dass eine bei einem plötzlichen Unfalltod zurückgelassene Seele ganz besonderer Fürsorge durch die Gemeinschaft der Lebenden bedarf. Schließlich übte Isabel, wie man mit einem Schluck Schnaps die Ahnen ehrt. All diese Erfahrungen und Erkenntnisse verpackt Isabel in einer Präsentation in den WechselWelten.

Eine tote Person in Peki wird vor der Aufbahrung im Familienhaus in Unterwäsche eingekleidet, welche Familienmitglieder in originaler Plastikverpackung als Geschenk mitbringen. Darüber kommen mehrere Lagen Kleidung aus dem Besitz des Verstorbenen und abschließend repräsentative Kostüme – traditioneller Kente-Webstoff, ein Anzug oder ein speziell für Tote geschneidertes Kleid aus glänzendem Satin. Dekoriert wird die tote Person etwa mit Plastikinsignien und traditionellem Schmuck aus Glasperlen. Nicht umsonst sagt man Plastik sei ‚unsterblich‘. Bei Beerdigungen in Peki vermitteln synthetische Stoffe und Verpackungen in Kombination mit Dingen aus lokaler Handwerkstradition Respekt für die Toten, moralische Angemessenheit und Langlebigkeit im Jenseits. Am Grab werden in glitzernde Folie verpackte Grabkränze abgelegt, die aus Cellophan und Geschenkbändern bestehen. Die versiegelte Schnapsflasche wird den Ahnen geopfert.

Peki war auch eine deutsche Missionsstation. Im Rahmen ihrer Forschung fand sich Isabel also gleichzeitig mit den Spuren deutscher kolonialer Präsenz, Einflüssen der Globalisierung und zeitgenössischen sozio-kulturellen Praktiken konfrontiert. Die Auseinandersetzung mit dem Tod führte somit zu der Frage, wie man sich als wissenschaftlicher Nachwuchs zu seinen disziplinären Ahnen stellen kann und inspirierte sie dazu, die Möglichkeiten und Grenzen der einer zeitgemäßen Interpretation des Faches zu erörtern.

In der Ausstellung sehen Sie daher drei weitere Gedenkposter, die die Sozial- und Kulturanthropolog*in als Auftragsarbeit anfertigen ließ. Hier erinnert das Format an drei Gründungsväter der Anthropologie. Diese Gedenkposter sind ein methodisches Experiment: Sie verewigen die heute durchaus auch umstrittenen Patriarchen der Ethnologie und sind gleichzeitig sie eine kritische Auseinandersetzung mit Ahnen der Disziplin und lokalen Praktiken des Ahnengedenkens in Peki.

Gleichzeitig erkundet Isabel methodisch, wie Ethnolog*innen heute materielle Spuren sammeln und ausstellen können. Das Sammeln war ehemals eine der Hauptaufgaben von Ethnolog*innen. Viele der Objekte im Landesmuseum gelangten so nach Hannover, bisweilen auch auf fragwürdige Weise. Wie aber steht es heute mit dem Sammeln und Bewerten von Dingen? Das in der Ausstellung gezeigte T-Shirt wurde Isabel Bredenbröker bei einer Bestattung in Peki von einer der Angehörigen übergezogen. Trauernde haben oft die Gelegenheit, Gedenk-T-Shirts mit einem Abbild von Verstorbenen zu erwerben. So leben die Toten auch im Alltag weiter und Angehörige können durch den Verkauf Beerdigungskosten decken. Dass das T-Shirt wohl hätte bezahlen werden sollen, erklärte in dem Moment niemand, und Isabel Bredenbröker selbst erfuhr davon erst Monate später, als sie langsam zu einer Expertin in Fragen der Etikette rund um Begräbnisrituale wurde.

Die ausgestellten Objekte zeigen, dass auch zeitgemäße Forschung materielle Spuren betrachtet und einbezieht. Diese können unter anderem aus globalen Handelskontexten stammen und auf synthetischen Materialien basieren. Selbst wenn die Dinge auf den ersten Blick beiläufig wirken, im lokalen Kontext erhalten sie eine Wertigkeit, die sie zu unerlässlichen Begleitern beim Umgang mit den Toten macht.

Die Sozial- und Kulturanthropolog*in präsentiert ihre Forschung nicht nur in Vorträgen, Texten und Ausstellungen, sondern hat zu diesem Projekt auch gemeinsam mit Philipp Bergmann den ethnografisch-künstlerischen Film „Now I Am Dead“ produziert (2019, 19:25 min).

Den Film können Sie sich hier in voller Länge ansehen. https://vimeo.com/410646385#at=0

Die Ausstellung „Tote leben länger“ ist von Juli 2021 bis Januar 2022 in den WechselWelten zu sehen.