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Fälschungen sind vielfältig und Begriffe wie Authentizität und »fake« derzeit vor allem im Zusammenhang mit manipulierten Nachrichten, Fotos und Medien im Internet in aller Munde. Sie spielen jedoch auch in Museen eine Rolle, sind sie doch die Orte, an denen Originale bewahrt, erforscht und präsentiert werden. Berühmte Unikate locken tausende von Besucher*innen in Museen, gleichzeitig wurden und werden diese Originale stets auch reproduziert, kommerzialisiert und somit zur Massenware, die jede*r bequem als Erinnerung mit nach Hause nehmen kann. Im Zuge der Digitalisierung treten virtuelle Welten und multimediale, immersive Ausstellungserlebnisse in Konkurrenz zu zwei- und dreidimensionalen Originalen.
Aber wann ist ein Werk eigentlich »echt« und wann nicht? Ein Blick in die Depots des Landesmuseums Hannover offenbart Sammlungsstücke, die sich zwischen den Polen original – authentisch – fake bewegen.
Im Bereich der bildenden Kunst sind Begriffe wie »Original«, »Authentizität« oder »Eigenhändigkeit« eng mit den Vorstellungen des »künstlerischen Genies« verbunden, das sich etwa in der Linienführung wie eine persönliche Handschrift von Künstler*innen widerspiegelt. Entsprechend erzielen Originale hohe Preise auf dem Kunstmarkt, werden wiederholt »letzte Originale« von berühmten Künstler*innen »entdeckt« und haben solche Zu- und Abschreibungen enorme Auswirkungen auf den materiellen Wert von Kunst und den Verlauf von Auktionen.
Noch in den großen Malerwerkstätten des 17. Jahrhunderts wurden Werke arbeitsteilig hergestellt, dann von »Meistern« wie Rembrandt oder Rubens signiert – und galten dennoch selbstverständlich als »Originale«. Heute werden bereits Übermalungen, nicht kenntlich gemachte partielle Restaurierungen sowie nachträglich ergänzte oder gar neu aufgebrachte Signaturen und Datierungen als Fälschungen gewertet. Dabei stellt die Herstellung einer Kopie keine Straftat dar, sie in den Handel zu bringen hingegen schon. Diese Fälschungen sowie falsche Zuschreibungen und mit ihnen ihre Urheber*innen und Vermittler*innen zu entlarven, beschäftigt demzufolge bis heute die Kunstwissenschaften, aber auch den Handel und die zuständigen Ermittlungsbehörden. Einige Fälscher*innen wurden berühmt-berüchtigt, da ihre Werke zahlreiche Expert*innen täuschten und somit ebenfalls gewisse künstlerische Fähigkeiten und vor allem Kenntnisse der jeweils genutzten Techniken und Materialien offenbarten. Hier sei nur an den Vermeer-Fälscher Han van Meegeren in der Nachkriegszeit oder Wolfgang Beltracchi erinnert: Letzterer erzielte mit Fälschungen moderner Kunst mehrere Millionen Euro Umsatz, erfand neben den Werken die gesamte »Sammlung Werner Jägers« als Provenienz und wurde 2011 für seine Taten medienwirksam verurteilt.
Neben der Problematik von Zu- und Abschreibungen, die auch auf Werke der Landesgalerie zutrifft, werden in den Magazinen einige Gemälde gänzlich unbekannter Herkunft bewahrt, die nicht inventarisiert und sowohl vorder- und rückseitig als Fälschung deklariert wurden – wohl, um zu verhindern, dass sie je in die Dauerausstellung oder gar auf den Markt gelangen. Dazu gehört ein Gemälde, das angeblich von Ernst Liebermann (1869–1960) – nicht zu verwechseln mit seinem berühmten Namensvetter Max Liebermann – stammen soll. Nach seiner Ausbildung an der Berliner Akademie der Künste und Studienreisen in Deutschland, Italien und Paris war Ernst Liebermann ab 1897 in München tätig und stellte dort mehrfach im Glaspalast aus. Zunächst dem Jugendstil verhaftet, wandelte sich sein Stil zu einer akademisch-konservativ-archaischen Malweise, die der Kunstauffassung der Nationalsozialisten entgegenkam. Entsprechend war Ernst Liebermann mehrfach auf der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ im Haus der Deutschen Kunst in München vertreten. Seine Werke erzielen heute mittlere Preise auf dem Kunstmarkt, der Anlass für diese Fälschung ist unbekannt.
Ernst Liebermann-Fälschung, Detail Vorderseite mit aufgeklebtem Etikett „Fälschung“ und Signatur; Dass., Rückseite mit 5 Stempeln „Fälschung“, Landesmuseum Hannover, Landesgalerie, o. Inv. Nr. © Landesmuseum Hannover
Terrakotten der Nok-Kultur, die sich seit etwa 1.500 v. Chr. im heutigen Zentral-Nigeria auszubreiten begann und deren Blütezeit etwa 900 v. Chr. bis 200 n. Chr. angesetzt wird, gehörten seit ihrer »Entdeckung« 1928 zu den berühmtesten Zeugnissen afrikanischer »Kunst«. Die stilisierten, jedoch alle individuell gestalteten Terrakotten sind hohl und aus ausgemagertem Ton gefertigt, versetzt mit kleinen Steinen.
Schon unter der britischen Kolonialregierung kam es zu illegalen Ausgrabungen und setzte sich ein »Department of Antiquities« für die »Verminderung unerlaubter Ausfuhr« ein. 1970 verabschiedete die UNESCO das »Übereinkommen über Maßnahmen und zum Verbot der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut«. Nigeria ratifizierte die Konvention 1972 und richtete 1979 eine nationale Kommission für Museen und Denkmäler (National Commission for Museums and Monuments) ein, um die Ausgrabung und Ausfuhr von Kulturgut zu überwachen. Gänzlich unterbinden ließen sich illegale Aktivitäten damit jedoch nicht. Insbesondere in den 1990er Jahren entstand ein internationales Netzwerk, das Raubgrabungen und deren illegale Ausfuhr organisierte. Objekte der Nok-Kultur erscheinen daher an erster Stelle auf einer 2000 veröffentlichten »Roten Liste« besonders gefährdeter afrikanischer Archäologica des International Council of Museums (ICOM).
Nicht nur Ausfuhrpapiere und Provenienzen, sondern auch die Terrakotten selbst und zugehörige Altersgutachten wurden aufgrund der hohen Nachfrage auf dem illegalen Markt gefälscht. Vor diesem Hintergrund sind auch die seit Ende der 1990er Jahre im Ethnographica-Handel für die ethnologische Sammlung des Landesmuseums Hannover angekauften Objekte der Nok-Kultur mit Blick auf ihren (il)legalen Status in den Fokus der Provenienzforschung geraten. Insbesondere ihre Intaktheit weckt Zweifel, da vorwiegend Fragmente oder Scherben geborgen werden. Um ihre Echtheit vor Kontaktaufnahme mit den nigerianischen Behörden zu überprüfen, wurden ausgewählte Figuren erneut mittels Thermolumineszenz-Datierungen zur Altersbestimmung und Computertomografie untersucht. Schon die Altersbestimmung deutete darauf hin, dass es sich um unterschiedliche Fragmente handelte. Dies wurde durch die CT-Scans bestätigt, die geklebte feine Risse, aber auch gänzlich neu zusammengesetzte Fragmente und stark gekittete Partien sichtbar machte. Sämtliche Figuren wurden offenbar mit einem neuen Überzug versehen, um sie für den Verkauf zu schönen. Die Terrakotten im Landesmuseum Hannover sind demzufolge original und fake zugleich. Inwiefern Nigeria sie als Kulturerbe anerkennen und entsprechend zurückfordern wird, ist derzeit noch offen.
Kniende Figur, Landesmuseum Hannover, FB Ethnologie, Inv. Nr. ET 18481 © Landesmuseum Hannover / CT-Scan der Figur © Waygate Technologies, Baker Hughes Digital Solutions GmbH, Wunstorf
Für die Kunsthistorie des afrikanischen Kontinentes gleichbedeutend wichtig sind die plastischen Zeugnisse der Ife, die in dem ehemaligen religiösen und politischen Zentrum der Yoruba Ile-Ife in Südwestnigeria beheimatet sind.
Leo Frobenius, der als umstrittenes enfant terrible der frühen Ethnologie verschiedene Reisen auf den afrikanischen Kontinent unternahm, grub bei der von ihm geleiteten vierten Deutschen Inner-Afrikanischen Forschungsexpedition 1910 mehrere Gedenkportraits der Ife-Kultur aus Terrakotta aus und brachte sie nach Deutschland. In Europa galten diese als absolute Sensation und revolutionierten die afrikanische Kunstgeschichte aus europäischer Perspektive. Die aufsehenerregenden Originale gingen an das Ethnologische Museum Berlin, das sie bis heute verwahrt.
Um die Kunde über diese einzigartigen Kunstwerke auch anderorts Museumsbesucher*innen zugänglich zu machen, wurden zur Veranschaulichung in einem Münchner Atelier 1922 Abformungen der Portraits aus Gips angefertigt und an andere ethnologische Sammlungen versandt, etwa an das Provinzialmuseum Hannover. Noch im selben Jahr wurden sie dem hannoverschen Publikum in einer Ausstellung präsentiert. Wie sehr Original und Nachbildung sich gleichen sei dahingestellt – die Nachbildungen ermöglichten im Rahmen des damals Möglichen auch in der Provinz eine Anschauung der Werke. Damit verbunden war die breite Vermittlung der für die Zeit revolutionären Theorien Frobenius´ über die Entwicklung der afrikanischen Kunst, die trotz aller Kritik an seiner Person und seinem Werk zu einem veränderten europäischen Blick auf die Geschichtlichkeit und die Kunstgeschichte des afrikanischen Kontinents führte.
Die Nachbildungen wurden in der ethnologischen Sammlung wie Originale behandelt: man inventarisierte sie und versah sie dabei mit dem Zusatzverweis »Abguss«. Seitdem haben sie dieselbe Behandlung erfahren wie alle anderen Objekte. Frobenius‘ Theoriebildung sowie die Umstände und Bedingungen seiner Grabungen sind heute umstritten und vergleichbare Originale werden als Kulturgut geschützt. Betreffen diese Diskussionen nur die Originale? Welches Licht werfen sie auf die Anwesenheit der Kopien?
Gipsabguss eines Gedenkportraits eines Würdenträgers der Yoruba, Ife, heutiges Nigeria, Landesmuseum Hannover, FB Ethnologie, Inv. Nr. ET 6262. Auf der Unterseite des Gipsabgusses ist die Berliner Inventarnummer des Originals C III 27527 eingearbeitet © Landesmuseum Hannover
Eine ähnliche Geschichte von Einzigartigkeit und Vervielfältigung erzählt die Nachbildung einer Maske, welche in Cham-Tänzen des Kloster Hemis – einem der ältesten und größten buddhistischen Klöster der Gegend um Ladakh – getragen wurde. Sakrale Cham-Maskentänze werden auf vorbuddhistische Bon-Religion zurückgeführt. Die zugehörigen Masken wurden unter strenger Einhaltung ikonografischer Regeln in Lhasa hergestellt und bemalt, dann ins Kloster überstellt und vor der Verwendung in Tänzen durch Reinigungs- und Weihungsrituale aktiviert. Zwischen den Aufführungen wurden sie in einem dafür vorgesehenen Raum aufbewahrt und von eigens dafür bestimmten Mönchen umsorgt. Die Maskentänze werden bis heute in Hemis aufgeführt und gelten als eine der herausragenden touristischen Attraktionen der Gegend.
Als die Brüder Hermann und Robert Schlagintweit 1857 von ihrer Reise nach Indien und Zentralasien zurückkamen, brachten sie mehrere Cham-Masken mit, die sie im Kloster Hemis durch »Überredung und Geld und andere Geschenke« erworben hatten. Die Forschung ist uneins darüber, ob die Masken, die den Schlagintweits verkauft wurden, je in den Klöstern für Cham Tänze verwendet oder nach den Vorbildern der originalen Masken für den Verkauf gefertigt wurden. Unabhängig davon gehören die Masken zu den ersten nach Europa verbrachten materiellen Zeugnissen der Cham. Da sie und die zugehörigen Tänze im Lauf der Zeit immer wieder verändert und aktualisiert wurden, stellen die früh durch die Schlagintweits nach Europa gelangten Stücke wertvolle Vergleichsobjekte für die Forschung dar.
Noch im Jahr der Rückkehr ließen die Schlagintweits in Berlin Kopien der Masken anfertigen. Dabei wurden die seidenen Tücher und die aus Yakhaaren geflochtenen Zöpfe, abweichend vom Original, in Steinpappe gefertigt. Von den Kopien gelangte je ein Satz nach München (heute Museum Fünf Kontinente), Leiden (heute Wereldmuseum), an das Nationalmuseum Kopenhagen und das India House Museum der East India Company in London. Einen Satz Kopien überreichte Hermann von Schlagintweit 1859 bei einer persönlichen Audienz dem hannoverschen König Georg V., der die Brüder im Gegenzug mit dem Guelphen-Orden Vierter Klasse auszeichnete.
Die Originalmasken behielt Hermann Schlagintweit zeitlebens in Privatbesitz, was auf die Bedeutung hindeutet, welche sie für ihn hatten. Erst sein Erbe verkaufte sie schließlich 1883/84 an das damalige Berliner Völkerkundemuseum (heute Ethnologisches Museum), wo sie im Krieg zerstört wurden. Auch im Ethnologischen Museum Berlin ist mit der Inventarnummer I D 4842 nur eine Abformung aus Steinpappe erhalten. Nur dank der Kopien ist das Original dokumentiert. Hat der Wert dieser Kopie durch die Vernichtung des Originals an Bedeutung gewonnen?
Nachbildung einer Cham-Tanzmaske aus dem Kloster Hemis, Ladakh, heute Indien, Landesmuseum Hannover, FB Ethnologie, Inv. Nr. ET 745 © Landesmuseum Hannover / Die einzige erhaltene Abbildung der Originalmaske, abgebildet in Francke 1898, reproduziert in Kleidt 2017.
Auch in den naturkundlichen und archäologischen Sammlungen des Landesmuseums Hannover finden sich zahlreiche Kopien, Nachbildungen, kreativ zusammengesetzte Bruchteile sowie einige Stücke, um deren Einordnung als Original oder Fälschung sich die Expert*innen bis heute uneins sind. Sie und die oben genannten Beispiele stellen die Vorstellungen von Eindeutigkeit in Frage und verdeutlichen, dass auch Fälschungen echt sein oder Kopien Relevanz haben können. Die Beschäftigung mit diesen Objekten und ihren Geschichten gewährt aufschlussreiche Einblicke in die Bewertung, Wertschätzung und Aufwertung von Originalen. Die Antworten auf die Frage »Echt jetzt?!« liegen daher nicht zuletzt auch im Auge der jeweiligen Betrachter*innen.
Sie möchten mehr über Objekte im Spannungsfeld zwischen Original und Fälschung und den Wert und Nutzen von Kopien erfahren? Besuchen Sie die Ausstellung »Echt jetzt?! Was ist original – authentisch – fake« bis Oktober 2024 in den WechselWelten des Landesmuseums Hannover.
Dr. Claudia Andratschke, Leitung Sammlungen und Forschung am Landesmuseum Hannover + Koordinatorin Netzwerk Provenienzforschung in Niedersachsen
Mareike Späth, Kuratorin der Ethnologischen Sammlung am Landesmuseum Hannover