Auf dem Weg ins Eis – ein Erfahrungsbericht zur MOSAiC-Expedition in die Arktis

Der Nordpol ist einer der weit entferntesten und einsamsten Orte dieser Erde. Es ist dort eiskalt und fast ein halbes Jahr komplett dunkel. Die Temperaturen sinken auf bis zu -45 Grad Celsius. Die Oberfläche des salzigen Ozeans, der Tiefen von bis 5000 Metern erreicht, friert bis an die Küstengebiete Kanadas, Grönlands, Russlands und Skandinaviens zu. Vor allem Eisbären und Robben sind hier zuhause. Doch das Eis geht in den Sommermonaten jedes Jahr weiter zurück. Die Zahl der Eisbären sinkt. Unter dem Eis vermutet man große Mengen Erdgas und Erdöl. Die Anrainerstaaten beginnen deshalb einen Streit um den Besitz der im Sommer eisfrei werdenden Arktis. Außerdem haben die Veränderungen in der Arktis Auswirkungen auf das Klima in anderen Breiten.

Die MOSAiC-Expedition

Um herauszufinden, wie sich die Arktis im Laufe eines Jahres selbst in den dunkelsten Tagen direkt am Nordpol verändert und wie die Prozesse in der Atmosphäre, auf, im und unter dem Eis miteinander zusammenhängen, findet momentan die ein Jahr dauernde MOSAiC-Expedition statt. Es ist in ihrer Art die größte Expedition in die Zentrale Arktis.

Um möglichst flächendeckend und lückenlos über den Zeitraum von 12 Monaten Daten aus der zentralen Arktis zu gewinnen, hat sich das deutsche Polarforschungsschiff POLARSTERN im Oktober 2019 nördlich Sibiriens an einer Eisscholle festgemacht und im Eis eingefroren. Die Motoren stehen still. Allein die Kraft aus Wind- und Meeresströmungen treibt das Schiff seitdem am Nordpol entlang quer durch die Arktis, bis es im Sommer 2020 Grönland erreicht und durch die Framstraße wieder in den Atlantik gelangt. Auf diese Weise werden nie dagewesene Daten aller wichtigen Prozesse gewonnen in einem Zeitraum und an Orten, die sonst nur für kurze Zeit überflogen werden können. Zur Realisierung der Expedition sind 600 Personen aus mehr als 16 Nationen involviert. Kaum eine/r bleibt das ganze Jahr auf dem eingefrorenen Schiff. Der Austausch von Menschen und der Transport von Treibstoff und Nahrungsmitteln oder Gerätschaften findet mit Transporteisbrechern oder Flugzeugen alle paar Monate statt.

Als Lehrerin an Bord

Auf einem dieser Transporteisbrecher war ich zu Beginn der Expedition, um die ersten Wochen als Lehrerin zu begleiten. Anschließend berichte ich darüber in Schulen, verschiedensten Vorträgen und Medien. Es war für mich das erste Mal auf einem solchen Schiff und natürlich das erste und wohl auch einzige Mal so weit nördlich in der
Arktis. Bisher konnte ich meiner Faszination für Gletscher und die Ruhe im Norden nur auf einigen Reisen in Island nachgehen. Umso aufregender waren das brechende Eis, die Eisbären in ihrem natürlichen Habitat und das Leben mit 150 Personen auf einem richtigen Forschungsschiff.

Friederike Krüger auf der MOSAiC-Expedition © Friederike Krüger

Unsere Fahrt bis zu der Position, an der sich die POLARSTERN einfrieren lassen konnte, dauerte mehr als eine Woche. Von Tromsø aus sind wir am 20. September 2019 losgeleint und über die Fjorde Norwegens ins Europäische Nordmeer eingedrungen, wo der Wellengang dem ein oder anderen Mitfahrer Seeübelkeit bereitete. Auch mich erwischte es in den ersten Tagen, obwohl der Seegang nicht wirklich eindrucksvoll war. Doch das innere Bestreben, den unter sich wackelnden Boden und den Blick zum Horizont auszugleichen, sorgte für unangenehmen Schwindel, der müde machte. So lag ich zu Beginn in meiner kleinen Kabine, die ich mir mit zwei US-amerikanischen Lehrkräften teilte und hörte von wenigen Besuchen abgesehen nur die stündlichen Meldungen über das Schiffsradio, das in jedem Zimmer hängt und über das wir angefunkt, geweckt und zusammengerufen werden konnten. Zum Beispiel zur Notfallübung oder zum Mittagessen, oder um das Wetter für den nächsten Tag durchzugeben.

Kabinenansicht © Jan Rhode

Fridtjof Nansen

Ich hatte die Tagebücher von Fridtjof Nansen gelesen, der 1893 in See gestochen ist, um genau unsere Route zu nehmen. Er war der erste Mensch, der herausfand, dass es eine Drift geben muss, die das Meereis durch Wind- und Meeresströmungen von der Küste Sibiriens über den Nordpol hinweg nach Grönland treiben lässt: Die sogenannte Transpolardrift. Wir folgten dem Vorbild Nansens fast ganz genau. Natürlich sind die Eisbedingungen schon ganz anders geworden, als noch vor mehr als einhundert Jahren. Denn die globale Klimaerwärmung heizt den Planeten ganz schön auf. Vor allem die Arktis erwärmt sich im Verhältnis zu anderen Orten auf der Erde sehr schnell. Das haben wir zum Beispiel daran gemerkt, dass wir die Eiskante erst viel nördlicher getroffen haben, als Nansen es in seinen Tagebüchern beschreibt. Außerdem war das Eis in einem recht schlechten Zustand, als wir Ende September darauf trafen. Kaum Eis aus dem Vorjahr. Der Großteil des Eises war sehr dünn und jung, gerade erst gebildet. Unmöglich, dass wir da Menschen drauf lassen oder Geräte draufstellen könnten. Wir hatten Satellitenaufnahmen der Arktis, die recht aktuell sind. Mit denen konnten wir erste Eisflächen aussuchen, die etwas dicker und stabiler aussahen.

Die perfekte Scholle

Aber dann fanden wir sie doch: eine passende Scholle, an der sich die POLARSTERN über das ganze Jahr hinweg festmachen konnte. Wir fuhren sie an, testeten sie nochmals mit Bohrungen und Vermessungen und wählten sie schließlich aus.

Wissenschaftler bei der Messung © Mario Hoppmann

Bereits am nächsten Tag baute man neben der POLARSTERN die ersten Messstationen auf dem Eis auf, kennzeichneten Pfade mit Fähnchen, bauten einen Helikopterlandeplatz auf dem Eis. Die Sonne zeigte sich schon kaum noch, es dämmerte nur noch und das Arbeiten fiel den Wissenschaftler*innen in der Kälte schwer. Die meisten mussten früh schlafen, um tagsüber genug Energie zu finden. Auch die vier Mahlzeiten und die vielen Schichten warmer Kleidung schützen die Leute nur bedingt gegen die extremen Bedingungen.

Blick auf die Messstation © Friederike Krüger

Arbeiten in der Arktis

Langsam wurde der Winter in der Arktis eingeleitet. Stürme rüttelten und zerrten an der Scholle. Nachts hörten wir auf beiden Schiffen das Eis, das sich gegen unsere Schiffswand presste. Eine Eisbärenmutter und ihr Junges stoppten unsere Arbeiten in den ersten Tagen immer wieder. Sie suchten nach Nahrung in der Nähe der Schiffe, die ihnen durch die Häufigkeit, in der sie ihnen begegnen, keine Angst mehr machen. Die Tiere sind hungrig und gefährlich und doch berührte es uns, wenn wir sie in freier Wildbahn sahen. So weiß, so schnell, so allein in einem riesigen Feld von Schnee bedeckten Eises.

Eisbärmutter und Kind © Jan Rhode

Von dem Transportschiff aus, auf dem ich mich befand, brachten wir nicht nur wichtige Gerätschaften und zusätzlichen Treibstoff mit in die Arktis, um es dort oben auf die POLARSTERN zu verladen, sondern auch eigene Messinstrumente aus, die sich in einem weiten Umkreis von durchschnittlich 50 Kilometer um die Polarstern herum befinden und ebenfalls mitdriften.

Friederike Krüger hilft den Wissenschaftlern © Mario Hoppmann

Auch ich als Lehrerin durfte mal dabei sein, mit vor Kälte taub werdenden Fingern Geräte verschrauben und den Blick fernab vom Schiff in die vom Sonnenuntergang orange-rot gefärbte Weite schweifen lassen. Heute kann ich mir einige der Ergebnisse, die die Instrumente liefern, bereits im Internet ansehen.

Während für uns auf der »Akademik Fedorov« nach fünf Wochen die Arbeit beendet war und der Heimweg durchs noch durchfahrbare Eis angetreten wurde, erlebte man auf der POLARSTERN in den Folgemonaten völlige Dunkelheit und wiederbeginnendes Licht. Die ersten Daten können schon ausgewertet werden, aber Aussagen werden erst in den kommenden Jahren folgen. Woher die Scholle, an der die POLARSTERN durchs Eis driftet, herkommt, ist allerdings schon ermittelt worden Über das Meereisportal kann auch jederzeit die aktuelle Position der Polarstern eingesehen werden (siehe Links). Ansonsten gibt die Homepage www.mosaic-expedition.org weitere Informationen zur Expedition. Hier finden sich unter dem Reiter »Education« auch meine erstellten Materialien.

 

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Friederike Krüger (29) ist Lehrerin für Deutsch und Erdkunde an der IGS Bothfeld.
Die gebürtige Hannoveranerin studierte in München und arbeitete während des Studiums für verschiedene Zeitungen. Ihre Abschlussarbeit verfasste sie zum weltweiten Gletscherschwund.
Die Expedition aber war eine vollkommen neue und außergewöhnliche Erfahrung für sie, die sie in zahlreichen Vorträgen und Berichten an möglichst viele Menschen bringen möchte.

Kontaktmöglichkeit: https://polarforschung.de/ak-polarlehrer-engagement/