Betrachte die Welt mal anders.
Die Provenienzforschung fragt nach der Herkunft der Objekte und den Wegen, auf denen sie in die jeweiligen Sammlungen gekommen sind. Wir versuchen also zurückzuverfolgen, in wessen Besitz ein Objekt ehemals gewesen ist, und auf welche Art es den Besitzer oder die Besitzerin gewechselt hat. Im Idealfall können wir aufgrund der Dokumentation in den Archiven, fundierten Kenntnisse über die jeweils zeitgenössischen Umstände und durch Austausch mit Expert*innen am Herkunftsort eine komplette Objektbiografie rekonstruieren und damit den Weg in die Sammlung des Landesmuseums Hannover nachvollziehen.
Manche Objekte wurden von ihren Vorbesitzer*innen oder auch von den Sammlungsmitarbeiter*innen beschriftet und tragen daher Hinweise auf Ort und Zeit – und manchmal sogar den Namen der Sammler*in.
Diese Angaben werden verglichen mit Einträgen im Eingangsbuch, in das jedes Objekt eingetragen wird, wenn es in die Sammlung des Museums aufgenommen wird. Oft finden sich dort weitere Hinweise wie zu den australischen Objekten aus der Sammlung Emile Clement.
Im Eingangsbuch ist dazu vermerkt, dass 1926, als die Objekte angekauft wurden, eine Akte mit einer Reihe von Zeichnungen und Bemerkungen angelegt wurde. Die detaillierten Zeichnungen sind mit ziemlich genauen Angaben zur Herkunft der Objekte, deren Bezeichnung sowie die bei der Herstellung verwendeten Materialen versehen.
Im Archiv befinden sich außerdem zahlreiche Briefe zwischen dem Sammler Emile Clement und dem damaligen Direktor des Landesmuseums, Hermann Jacob-Friesen, die über die Objekte korrespondierten und Preise veranschlagten.
Ein wesentlicher Bestandteil der Provenienzforschung ist es, alle überlieferten Angaben immer kritisch zu hinterfragen, und zu verstehen, wer die Angaben aus welchem Interesse heraus gemacht hat, und auf welchem Wissen sie basieren. Manchmal sind die Angaben sehr genau und detailliert; oft sind aber viele Angaben auch fehlerhaft, ungenau oder verkürzt. Manchmal wurden von Händler*innen Angaben so formuliert, dass eher gewöhnliche Objekte wertvoll und selten erscheinen, damit sie höhere Preise erzielen. In anderen Fällen wiederum verschleiern Bezeichnungen wie »Topf« oder »Gürtel«, dass es sich keineswegs nur um Alltagsgegenstände handelt, sondern um Objekte, denen auch eine rituelle Bedeutung zukommt.
Von Emile Clement ist bekannt, dass er zwischen 1896 und 1928 über 1.600 Objekte aus Westaustralien an europäische Museen verkaufte. Viele davon hat er bei seinen Aufenthalten selbst akquiriert. Einige aber, zu denen vermutlich auch die Objekte in der Sammlung des Landesmuseums gehören, wurden ihm von Kontaktpersonen in der Region zugespielt. Über diese Netzwerke ist bislang noch recht wenig bekannt. Ebenso über die Personen, die die Objekte herstellten oder verwendeten, bevor sie für die wissenschaftliche oder museale Dokumentation gesammelt und nach Europa transferiert wurden.
Neben der vertiefenden Forschung in der Literatur und den Archiven ist der Austausch mit Expert*innen vor Ort ein wichtiger Teil der Provenienzforschung mit ethnologischen Sammlungen. Im Moment befindet sich ein Projektmitarbeiter des am WeltenMuseum koordinierten PAESE-Projekts in Australien, um dort im Gespräch mit Sprecher*innen der in Zentralaustralien lebenden Gruppe der Aranda das Wissen um bestimmte Objekte, sogenannte tjurungas, zu vertiefen, und eine möglichst genaue Provenienzbestimmung zu erzielen. Interessant ist dabei, wie sich der Erwerb bzw. die Veräußerung der Objekte aus der Perspektive der Menschen, die die Objekte hergestellt und verwendet haben, darstellt: Wie erinnern sie diese Vorgänge – im Einklang oder auch im Gegensatz zu den Dokumenten in den europäischen Archiven? Welches Wissen dazu gibt es vor Ort? Schließlich soll auch die heutige Bedeutung der Objekte für die Menschen am Ort der Herstellung und Sammlung erfragt werden. Seit den 1990er Jahren gibt es Bemühungen von Vertretungen der Aborigines, Zugang zu den Objekten in Museen zu erhalten und diejenigen, die sie als geheim und sakral einordnen, an ihren Herkunftsort bzw. in den Besitz der Herkunftsgruppe zurückzuführen. Mittels Gespräche wird erörtert, auf welche Objekte eine solche Forderungen zutreffen könnte und wie mit den Objekten, die bis heute für Aranda identitätsstiftende Bedeutung haben, in Zukunft umgegangen werden soll.
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