Wissen – Vernetzen

Ein Namibisch-Deutsches Projekt zur Erfassung namibischen Kulturerbes

Obwohl sich die Uhr nicht zurückdrehen und sich der unsagbare Schaden von Kolonialismus und Genozid nicht rückgängig machen lässt, gibt es doch gewisse Maßnahmen, die ergriffen werden können, um Unrecht anzuerkennen und zu benennen und um rückgängig zu machen, was rückgängig gemacht werden kann.  […] Wir können nicht leugnen, dass unsere Vergangenheiten miteinander verflochten sind. Diese Objekte haben Menschen in Deutschland und Namibia eine Geschichte zu erzählen. Um diese zu verbreiten, müssen wir zusammenarbeiten.

Ellen Namhila, Vizepräsidentin der University of Namibia

Wie in vielen ehemals kolonisierten Ländern ist die Geschichte des namibischen Kulturerbes von Verlust und Gewalt geprägt: Vor allem während der deutschen Kolonialzeit und auch während des Genozids an den Herero und Nama wurden massenhaft private Besitztümer, identitätsstiftende und symbolhafte Kulturgüter und nicht zuletzt auch menschliche Gebeine außer Landes und nach Europa verbracht. Für vorgeblich wissenschaftliche Zwecke wurden diese auch in Deutschland in museale und universitäre Sammlungen eingegliedert.

Folglich bleiben den heute lebenden Nachkommen nur noch Erinnerungen an vormals sinnstiftende belongings. Das Wissen über diesen Verlust wurde in Namibia weitererzählt, und Einzelpersonen, Familien und Wissenschaftler*innen bemühen sich seit geraumer Zeit darum, mehr darüber zu erfahren, wo all diese Dinge sich genau befinden, wie es ihnen geht und ob sie gegebenenfalls nach Namibia zurückkehren können. Aber wo anfangen? Wie kann eine Person in Namibia wissen, welche Kulturgüter aus Namibia zum Beispiel im Depot des Landesmuseums Hannover aufbewahrt werden?

Networking

Aus diesen Fragen wurde die Idee geboren, Informationen über namibisches Kulturgut in Sammlungen im Ausland an einem zentralen Ort zusammenzutragen. Den Grundstein dafür setzte die Museums Association of Namibia (MAN) mit der Gründung des Projekts »Africa Accessioned« im Jahr 2014. In den Worten der Teilhabenden sollte es »ein Werkzeug schaffen, das Verbindungen zwischen Sammlungen und Gemeinschaften aufzeigt, um so einen Dialog zu eröffnen und Kooperationsprojekte zu ermöglichen«.

Das so ins Leben gerufenen namibisch-deutsche Kooperationsprojekt wurde 2020 in das Projekt »Locating Namibian Cultural Heritage in Museums and Universities in German-Speaking Countries« überführt. Durchgeführt wird es vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste (DZK) in Dialog mit der MAN, dem National Museum von Namibia sowie der Universität von Namibia (UNAM).

Besonders wichtig war es den beteiligten Wissenschaftler*innen einen Perspektivwechsel vorzunehmen, weg von einer eurozentrischen, also auf einer auf europäischer Weltsicht und Wissenshorizonten basierenden Wahrnehmung. Anstatt von einer Sammlung in einem deutschen Museum aus mit einer sog. »Herkunftsgesellschaft« zu interagieren, nehmen sie Namibia mit all seiner kulturellen Diversität als Ausgangspunkt. Aus einem namibischen Blickwinkel betrachtet, existieren in Deutschland verschiedene »Herkunftsmuseen« (Jeremy Silvester, MAN Direktor), in denen sich die namibischen Kulturgüter heute befinden. Diese sollen »sichtbar, kenntlich, nachweisbar, erforschbar, referenzierbar und rückführbar« gemacht werden. Mehr Transparenz und Sichtbarkeit ermöglicht insbesondere die Datenbank »SeaTable«, welche als Ergebnis des Projekts im Dezember 2023 gelauncht wird. Bevor die 17.618 Objekte aus 40 beteiligten Institutionen online zugänglich gemacht werden konnten, war es jedoch ein langer Weg. In über drei Jahren Kleinstarbeit sammelten die Forscher*innen Daten von über 40 teilnehmenden Institutionen, darunter auch das Landesmuseum Hannover als eines der »Herkunftsmuseen«.

Das Landesmuseum Hannover als „Herkunftsmuseum“

Im ethnologischen Depot des Landesmuseums befinden sich insgesamt 509 Objekte, die aus Namibia nach Hannover kamen: Hinter Glasscheiben, in Schubladen und in Kartons verstaut finden sich etwa Behältnisse aus Schildkrötenpanzer, welche einst die Heilpflanze Buchu beinhalteten, oder kleine Miniaturköcher, ein beliebtes Souvenir – um ihre Funktion ranken sich bis heute verschiedene Mythen.

Um die Bedeutung und Verwendung von Miniaturköcher ranken sich viele Mythen, Slg. Krahmann, Inv. Nr. 8578.

Für die Ausstellung »Wissen – Vernetzen« wandern diese und weitere namibische Kulturgüter in unsere WechselWelten: Unter Bezugnahme auf das Locating-Projekt erkunden wir die namibischen Sammlungen am Haus. Dabei beleuchten wir nicht nur ihre (koloniale) Entstehungsgeschichte, sondern ebenso die aktuelle Forschung als wesentlichen Bestandteil einer namibisch-deutschen Verflechtungsgeschichte. Von ersten Kooperationen zwischen dem Landesmuseum Hannover und namibischen Institutionen zeugen ein wertvoller Schmuckknopf aus Elfenbein (ekipa londjaba) und ein Dolchmesser (omikonda): Diese schenkte das Museum Swakopmund dem Landesmuseum 2001 nach einem gemeinsamen Projekt als Zeichen seiner Verbundenheit.

Dolchmesser omikonda, ein Geschenk aus der Sammlung des Museum Swakopmund an das Landesmuseum, Inv. Nr. 19136.

Weitere Kontakte knüpfte das Landesmuseum durch das Provenienzforschungsprojekt PAESE (2019-2022), in dem ein internationales Forschungsteam unter anderem namibische Sammlungen in Niedersachsen kritisch prüfte.

Lücken überbrücken

Wissenslücken sind in keine Ausnahmen in namibischen, bzw. allgemein in außereuropäischen Sammlungen: Als die Objekte aus ihrer Verwendung in Namibia herausgelöst und nach Hannover verbracht wurden, wurde oft das Wissen über deren Verwendungen und Bedeutungen vom Objekt losgelöst. Beispiele hierfür finden sich nicht nur in Form der oben genannten Miniköcher – Rätsel geben auch 13 Lederbeutel aus der Sammlung Schubert auf, deren Verwendung uns bis heute nicht bekannt ist.

Einer von 13 kleinen Lederbeuteln, die Ludwig Schubert dem Landesmuseum schenkte, Inv. Nr. 5829.

Eine weitere große Lücke kennzeichnet die gesamte Dokumentation der Sammlungen: Krahmann, Gaerdes, Bahr – überliefert sind die Namen derjenigen Deutschen, über welche die jeweiligen Objekte ans Landesmuseum Hannover kamen. Unsichtbar bleiben dagegen ihre ehemaligen namibischen Besitzer*innen, mit deren Alltag die Objekte einst untrennbar verknüpft waren. Über sie liegen uns häufig nur die ihnen zugeschriebene »kulturelle Zugehörigkeit« vor, die aus einer europäischen/eurozentrischen Perspektive heraus erfolgte. So teilte etwa der Farmer Jan Gaerdes mit, seine Sammlung stamme von einer San-Gruppe mit Namen »Otjonjou«. Ob es sich hierbei um eine Eigenbezeichnung handelte, ist fraglich.

Jan Gaerdes versah alle von ihm zusammengetragenen Objekte mit einem Etikett: Auf der einen Seite eine Objektbeschreibung, auf der Rückseite sein personalisierter Stempel.

Eine Ausnahme wiederum ist ein Fotoalbum, das Bilder von Menschen aus dem Caprivizipfel zeigt und zudem ihre Namen nebst weiteren rassifizierenden Merkmalen festhält. Die ungewohnte Nähe zu den abgebildeten Personen macht das Album zu einer besonders sensiblen Quelle. Anhand dieser lässt sich die Frage stellen, wann es sinnvoll ist, Bildmaterial zu zeigen oder aber doch zurückzuhalten.

Album mit Fotografien von 40 Personen, die um 1913 im Caprivizipfel lebten.

Auch die Besucher*innen werden mit Lücken konfrontiert: Im Falle einiger Objekte haben wir uns bewusst dagegen entschieden, sie zu zeigen. Grund dafür ist, dass sie von den Expert*innen des Locating-Projekts als kulturell sensibel eingestuft wurden und folglich mit besonderer Sorgfalt zu behandeln sind. Gleiches galt auch für menschliche Gebeine aus Namibia, die während der Kolonialzeit in die Sammlung gelangten und 2018 an Namibia zurückgegeben wurden.

Was hält die Zukunft bereit?

Mit dem Locating-Projekt ist die Zusammenarbeit noch längst nicht beendet, ganz im Gegenteil: Sowohl das Handbuch als auch die Datenbank SeaTable sollen die Forschungsinfrastruktur bereichern. Essenziell sind die über die Jahre entstandenen namibisch-deutschen Beziehungsgeflechte, die sich ausgehend von den musealen Sammlungen entsponnen haben. So kann die gemeinsame Auseinandersetzung mit der verflochtenen Geschichte einer von vielen notwendigen Schritten in eine partnerschaftliche Zukunft sein, in der mit namibischem Kulturerbe verbundenen Personen in Namibia der Erforschung und weiteren Verbleib (mit)bestimmen.

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Louisa Hartmann, wissenschaftliche Volontärin in der Provenienzforschung am Landesmuseum Hannover und Mitarbeiterin im Netzwerk Provenienzforschung in Niedersachsen
Mareike Späth, Kuratorin der Ethnologischen Sammlung am Landesmuseum Hannover

 

Sie möchten mehr über die Sammlung namibischen Kulturgutes im Landesmuseum wissen?

Besuchen Sie die Ausstellung Wissen – Vernetzen. Ein Namibisch-Deutsches Projekt zur Erfassung namibischen Kulturerbes noch bis April 2024 in den WechselWelten des Landesmuseums Hannover. Zahlreiche Objekte sind im Kulturerbeportal abgebildet.

Die Ergebnisse des Forschungsprojektes Namibian Cultural Heritage in Museums and Universities in German-Speaking Countries am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste sind in der zugehörigen Publikation veröffentlicht. Hier kostenfrei lesbar und herunterladbar.