Betrachte die Welt mal anders.
„In Westkamerun ist es diese Art von Sitz, die den Königsthron bildet. Man sieht, dass die Sitzfläche von einem Tier getragen wird, das nicht irgendein Tier ist, sondern ein Totemtier. Das Totemtier, das hier dargestellt wird, ist der Leopard. Es scheint, dass der Thron aus Westkamerun, vermutlich aus dem Gebiet Ndé stammt, da dort der Leopard das Totemtier ist. In Westkamerun sind Throne in der Regel Initiierten vorbehalten. Das heißt, man muss auf eine bestimmte Ebene der Erhabenheit gelangen. Der König, regiert das Volk auf seinem Thron. Daher glaube ich, dass es wichtig ist, dass dieser Thron zurückkehrt. Denn wenn es keinen Thron gibt, hat man den Eindruck, dass die Aktivitäten des Königreichs zum Stillstand kommen. Ein König kann nur regieren, wenn es einen Thron gibt.“
Kouakop Vamel, Student am Institut für Bildende Künste der Universität Douala in Nkongsamba, 9.3.2020
Mit diesen Worten beschrieb Vamel Kouakop den Thronsitz, als die Ethnologinnen Bianca Baumann und Isabella Bozsa ihn nach seiner Einschätzung fragten. Der Thronsitz befindet sich heute in der ethnografischen Sammlung des WeltenMuseums. Er war Teil einer Schenkung Wilko von Freses, der zwischen 1908 und 1910 als Leutnant der Kolonialtruppe des Kaiserreichs in der damaligen deutschen Kolonie Kamerun stationiert war.
Heute stehen Objekte, die während der Kolonialzeit nach Europa verbracht wurden, im Zentrum kritischer Diskussionen. Es geht dabei vor allem um ethische und moralische Aspekte: Wie sind diese Objekte in museale Sammlungen gelangt? Sollten sie zurückgegeben werden und wenn ja an wen? Wie beurteilen die Nachfahren der früheren Besitzer*innen die Situation? Wie blicken sie auf die Objekte und deren heutige Verwahrung in Europa?
Zwischen September 2018 und Oktober 2021 hat sich Bianca Baumann als wissenschaftliche Mitarbeiterin im niedersächsischen Verbundprojekt Provenienzforschung in außereuropäischen Sammlungen und der Ethnologie in Niedersachsen (PAESE) mit diesen Fragen beschäftigt. Gemeinsam mit Personen in und aus Kamerun arbeitete sie daran, den im Museum vorherrschenden eurozentristischen Blick um eine kamerunische Perspektive zu ergänzen. Ein wichtiger Partner dabei war Prinz de Bangoua Legrand Tchatchouang, der sich seit vielen Jahren für den kulturellen Dialog zwischen Kamerun und Deutschland einsetzt.
Das Gebiet des heutigen Westkameruns war zum Zeitpunkt der Ankunft deutscher Kolonisatoren in mehrere Königreiche aufgeteilt. Die dort regierenden Könige machten ihren Einfluss geltend, um sich gegen die koloniale Besetzung zu behaupten und ihr Volk zu schützen. Wer sich aber der Kolonialmacht widersetzte, wurde entmachtet oder getötet. Einige Herrscher entschieden sich daher dazu, mit den kolonialen Besatzern zu kollaborieren. Eine Strategie, um dauerhafte und verbindliche Beziehungen zu etablieren, war die Übergabe wertvoller Geschenke. Hierzu überlegen die Studentin Josiane Mbogne und der Kunsthistoriker Victor Ngitir:
„In der Tat gab es mehrere Arten und Wege, wie die Kolonisatoren die Objekte erhalten haben. Daher sage ich nicht, dass diese Objekte gestohlen wurden, denn es könnte auch sein, dass es Ankäufe oder Geschenke waren.“
Mbogne Kelly Josiane, Studentin am Institut für Bildende Künste der Universität Douala in Nkongsamba, 9.3.2020
„Manche sprechen von Geschenken. Ich sage nein. Es waren ‚erzwungene Geschenke‘, denn diese sogenannten Geschenke kamen nicht von Herzen. Ein Königreich oder ein König schenkten einem deutschen Offizier einen Gegenstand als Gegenleistung für seine Nachsicht, denn diese Zeit war eine Zeit der Unterwerfung des Hinterlandes. Bedeutende und sakrale Gegenstände fanden ihren Weg in die Hände der Deutschen. Wir können diese Gegenstände nicht als Geschenke bezeichnen, weil sie nicht von Herzen kamen. Sie wurden unter Druck gegeben. Sie wurden aus Angst gegeben.“
Ngitir Victor, Kunsthistoriker, Museologe und Lektor am Institut für Bildende Künste der Universität Douala in Nkongsamba, 11.3.2020
Heute befinden sich viele derartige royale und sakrale Objekte in europäischen ethnologischen Sammlungen, so auch im Bestand des WeltenMuseums. Die politische Relevanz der Königreiche wurde durch die Kolonialzeit und den nachfolgenden, postkolonialen Nationalstaat gebrochen. Die kamerunischen Königtümer existieren jedoch nach wie vor. Sie erheben Anspruch auf die materielle Kultur der Königreiche und Repräsentanten der Königtümer agieren als Ansprechpartner für die Frage eines zukünftigen Umgangs mit diesen Kulturgütern.
König Anick Julio Djampou Tchatchouang, Bruder von Prinz de Bangoua Legrand Tchatchouang, ist derzeit amtierender König in Bangoua. Die Mitglieder der königlichen Familie bewahren und pflegen die Geschichten und Traditionen des Königreiches. Eine zentrale Rolle spielt dabei die materielle Kultur: Sie bildet eine Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
In Bangoua selbst werden kulturelle Objekte im Musée Royal de Bangoua bewahrt. Dorthin kehren sie nach der Verwendung in Zeremonien und Veranstaltung immer wieder zurück. Die Frage nach der Restitution royaler Sammlungen beschäftigt heute die Gemeinschaft Bangouas im In- und Ausland.
Um den Dialog über kamerunisches Kulturgut aufzunehmen, initiierte Prinz de Bangoua Legrand Tchatchouang zusammen mit Bianca Baumann und Isabella Bozsa vom Städtischen Museum Braunschweig zwei Diskussionsveranstaltungen. Dabei wurde mit Königen und weiteren Palastangehörigen, Museumsvertreter*innen, Künstler*innen und Journalist*innen über die Zukunft der kamerunischen Objektbestände in deutschen Museen diskutiert. Die Beteiligten sprachen sich für Kooperationen zwischen deutschen Museen und lokalen Königreichen und zukünftige, gemeinsame Projekte aus, um den Aushandlungsprozess über die Zukunft der Objekte voranzubringen. Eine elementare Aufgabe für die Zukunft hat sich dabei herauskristallisiert: Damit der Dialog begonnen werden kann, müssen die kamerunischen Objekte der niedersächsischen Museen in Kamerun bekannt gemacht werden – nur so können sie wiedererkannt und kontextualisiert werden. Die Veröffentlichung der Sammlungen in der digitalen Datenbank von PAESE wurde daher begrüßt. Darüber hinaus wünschen sich die Beteiligten auch, die Objekte durch Ausstellungen in Kamerun zugänglich zu machen.
In Deutschland wurde die koloniale Verantwortung erstmalig im Koalitionsvertrag von 2018 politisch thematisiert. Seit diesem Jahr wird der Verbleib kolonial verbrachten Kulturguts auch in Kamerun auf politischer Ebene diskutiert. Joseph Dion Ngute, Premierminister von Kamerun, hat im Mai 2022 eine Arbeitsgruppe einberufen, in der Repräsentant*innen verschiedener Interessengruppen eine nationale Strategie zum Umgang mit aus Kamerun ausgeführtem Kulturgut entwickeln soll. Gleichzeitig wird die Frage der Zukunft kamerunischen Kulturguts in deutschen musealen Sammlungen in einer deutsch-kamerunischen Arbeitsgruppe weitergeführt. Die Suche nach einem angemessenen Umgang mit Objekten aus kolonialen Kontexten wird also noch einige Jahren andauern. Die gemeinsame Arbeit von Bianca Baumann und Prinz de Bangoua Legrand Tchatchouang hat gezeigt, wie wichtig es ist, verschiedene Stimmen zu diesen Fragen zu suchen, zu finden und hörbar zu machen. Ein umsichtiger, inklusiver und ergebnisoffener Dialog, der verschiedenen Perspektiven und Bedürfnissen Gehör schenkt, kann dazu beitragen, dass eine neue Form des Begegnens entsteht.
Die Kabinettausstellung Perspektivwechsel – Kooperation und Vielstimmigkeit zu Kulturgut aus Kamerun bietet einen Einblick in die kooperative Forschung zu Sammlungen aus kolonialen Kontexten am WeltenMuseum. Wir laden Sie ein, verschiedene, zum Teil auch widersprüchliche Perspektiven der Beteiligten und Befragten auf die Objekte und die Frage der Restitution nachzuvollziehen. Die Ausstellung ist von Juli bis Dezember 2022 in den WechselWelten zu sehen. Idee, Kuration und Texte stammen von Prinz de Bangoua Legrand und Bianca Baumann. Gemeinsam mit Mareike Späth haben sie diesen Blogbeitrag über ihre Arbeit verfasst.
Prinz de Bangoua Legrand Tchatchouang gehört der königlichen Familie in Bangoua an. Er engagiert sich in Kamerun und Deutschland für den kulturellen Dialog und die Auseinandersetzung mit der deutsch-kamerunischen Geschichte. Als Repräsentant der kamerunischen Diaspora in Deutschland setzte er sich besonders für den Dialog zu kamerunischer Kunst in deutschen Museen ein. 2016 hat er dafür in Berlin das Kamerun-Haus als Ort der Begegnung und des Austauschs gegründet.
Bianca Baumann ist Ethnologin und befasst sich unter anderem mit der Geschichte und materiellen Kultur Afrikas, insbesondere Kameruns. Sie arbeitete bis Oktober 2021 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Landesmuseum Hannover im Teilprojekt Erwerbsumstände im kolonialen Kamerun des PAESE Projekts. Zuvor war sie unter anderem an der Ausstellung Heikles Erbe. Koloniale Spuren bis in die Gegenwart beteiligt. Derzeit ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz tätig.
Mareike Späth ist Kuratorin der ethnologischen Sammlung am Landesmuseum Hannover.
Das Projekt »Provenienzforschung in außereuropäischen Sammlungen und der Ethnologie in Niedersachsen (PAESE)« und die Ausstellung »Perspektivwechsel« wurden finanziert durch die VolkswagenStiftung.