Status Quo Museum?

Ein Puma zwischen den Welten


Mit diesen auf der Schreibmaschine getippten Worten legte der ehemalige Besitzer des »Pumas von Tiahuanaco« Zeugnis darüber ab, wie er 1971 auf der archäologischen Stätte Tiahuanaco die besagte Pumafigur erwarb und sie von Bolivien nach Deutschland verbrachte. Nicht nur die von ihm geschilderte Anwesenheit von Aufsichtspersonal auf der Ausgrabungsstätte deutet an, dass das schnell abgewickelte Geschäft vor Ort unerwünscht war. Tatsächlich hatte die UNESCO-Konvention von 1970 unmittelbar zuvor beabsichtigt, den illegalen Handel mit Kulturgütern zu unterbinden. Und auch der bolivianische Staat hatte bereits 1927 ein erstes Gesetz verabschiedet, das den Verkauf von Archaeologica reglementierte. Die Notwendigkeit für ein solches Gesetz ergab sich aus der langen Geschichte von Plünderungen, auf die das westliche Südamerika zu diesem Zeitpunkt zurückblickte. Quintessenz dieser Entwicklung waren und sind immer wieder die Fragen: In wessen Hand befinden sich die materiellen Überreste vergangener Zeiten? Oder allgemeiner formuliert: Wem gehört die präkolumbische Vergangenheit?

Fotografie des Vorbesitzers, aufgenommen am Tag des Verkaufs (1971) in Tiahuanaco. Im Hintergrund befinden sich mehrere Arbeiter, darunter eventuell die Verkäufer des Pumas.

Was bisher geschah: Huacas – Huaqueo – Huaqueros

Große Teile der indigenen Bevölkerung des Andenraums nennen die Orte der präkolumbischen Vergangenheit auf Quechua »huacas«. Es handelt sich um einen vielgestaltigen Begriff, der sowohl Naturformationen, als auch von Menschenhand geschaffene Dinge bezeichnen kann. Gemeinsam ist den »huacas« jedoch, dass ihnen eine eigene Handlungsmacht zugeschrieben wird – sie werden nicht als totes Material, sondern als »belebt« empfunden. Zurückführen lassen sich diese gegenwärtigen Vorstellungen bis in die Zeit vor der spanischen Invasion, sodass sie ebenfalls in der archäologischen Forschung zu präkolumbischen Kulturen berücksichtigt werden. Zu den präkolumbischen Kulturen gehörte neben den gemeinhin bekannten Inka auch die »Tiahuanaco-Kultur«, die ihre Blütephase zwischen 500 und 1.000 n.Chr. erlebte und deren materielle Kultur sich heutzutage vereinzelt in Peru sowie schwerpunktmäßig in Bolivien wiederfindet. Ihr monumentales Zentrum erbaute die Kultur südlich des Titicacasees – das bereits erwähnte , oder auch Taypicala (»Stein im Zentrum«), ist heute die wohl prominenteste bolivianische Ausgrabungsstätte. Der Ort besitzt große Bedeutung, gerade mit Blick auf eine neue selbstbewusste indigene Identität im plurinationalen Staat Bolivien, die insbesondere der ehemalige Präsident Evo Morales wirkmächtig beschwor.

Boliviens ehemaliger Präsident Evo Morales (Mitte hinten) feiert die Einführung in seine dritte Amtsperiode in der symbolträchtigen Kulisse Tiahuanacos. © David G. Silvers, Cancillería del Ecuador

Doch die Berühmtheit hat ihre Schattenseiten: Keine andere bolivianische Stätte ist in vergleichbarem Maße von Plünderungen betroffen. In Anlehnung an das Wort »huaca« werden diese im Andenraum als »huaqueo« bezeichnet. Zurückführen lässt sich der »huaqueo« bis in die spanische Kolonialzeit, was sich am Beispiel Tiahuanacos gut aufzeigen lässt. Seit dem 16. Jahrhundert wurde hier gegraben und Stein für Stein abgetragen, sodass manche der Gebäudekomplexe fast gänzlich von der Oberfläche verschwanden. Oftmals wird – besonders in wissenschaftlichen Publikationen – indigenen Ausgräbern, sogenannten »huaqueros«, die Schuld für die Zerstörung archäologischer Stätten gegeben. Diese Argumentation greift allerdings zu kurz und negiert die Ausmaße eines Netzwerks, in dem eine heterogene Vielzahl von (inter-)nationalen Akteur*innen eingebunden war (und ist). Unter den Ausgrabenden befanden sich besonders während der globalen »Sammelwut« um 1900 viele »westliche Forschungsreisende« und Abnehmer*innen präkolumbischer Funde waren meistens gut situierte Bürger*innen. Schon während der südamerikanischen Unabhängigkeitsbewegung im frühen 19. Jahrhundert begann die Elite, große Sammlungen von Antiquitäten anzulegen, europäische Neuankömmlinge trieben diese Tätigkeit in den folgenden Jahrzehnten auf die Spitze. Am Landesmuseum Hannover bezeugt die Sammlung von Wilhelm und Erna Gretzer ihre intensive Sammlungstätigkeit. Über 30.000 Stücke gingen durch die Hände von »huaqueros«, die im Auftrag der Familie Gretzer gruben – heute ist die Sammlung auf verschiedene Standorte in Europa verstreut. In anderen Worten: Teil des Netzwerks »huaqueo« sind zuletzt »westliche« Museen, die präkolumbische Sammlungen mit prekären Provenienzen angenommen haben und weiterhin »bewahren«.

Keramiken in der Slg. Wilhelm und Erna Gretzer, fotografiert um 1904. Die markierten Gefäße sind seit 1928 im Besitz des Landesmuseums und werden in den MenschenWelten ausgestellt.

Ein Puma zwischen den Welten

Wie die Geschichte des Pumas uns bewusst macht, führten die nationalen und internationalen Bestrebungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht dazu, den tief verwurzelten »huaqueo« gänzlich zu unterbinden, zumal die Nachfrage nach präkolumbischen Achaeologica fortbestand. Das begünstigte die Entstehung illegaler Märkte, auf denen diese sowie Nachbildungen weiterhin gehandelt wurden. Im Fall des Pumas, den lokale Arbeiter 1971 verkauften, ist eine gewisse Skepsis angebracht: Zumindest die gut erhaltenen Verzierungen wurden mit großer Wahrscheinlichkeit rückblickend angebracht, um ihn für den Verkauf zu schönen. Die Ikonographie entspricht der Tiahuanaco-Kultur und erinnert an die größeren »Chachapumas«, figürliche Mischwesen von Mensch und Puma, die vermutlich den Eingang zu Tempeln bewachten. Dennoch finden sich für die Pumafigur keine eindeutigen Vergleichsobjekte in musealen Sammlungen, weshalb es als nicht gesichert gilt, ob es sich um ein originales Fundstück der Tiahuanaco-Kultur handelt.

Sein Vorbesitzer, dessen Nachfahr*innen den Puma und weitere Dinge aus Südamerika dem Landesmuseum Hannover schenkten, beschrieb detailliert, wie er »in den Besitz des Pumas [kam]« und ihn »über viele Zollschranken« nach Deutschland transportierte. Auch in dieser Hinsicht kann das Schicksal des Pumas als repräsentativ gesehen werden: Für viele Archaeologica, die unter unklaren Umständen ausgegraben, aus ihrer Herkunftsregion verbracht wurden und fortan in privaten Sammlungen verblieben. Für den Vorbesitzer und seine Familie war der Puma das Herzstück ihrer Sammlung. Auf den emotionalen Wert verweist sein Kosename »Pumanaco«, der gleichzeitig schemenhaft an seine Herkunft erinnerte. In Privatsammlungen befinden sich häufig rezent gefertigte Souvenirs, welche die präkolumbische Ikonographie imitieren, neben originalen archäologischen Fundstücken. Die Grenzen verlaufen teils fließend, wie etwa die Chancay-Puppen verdeutlichen: Sie sind zwar neu angefertigt, bestehen aber aus echten alten Textilfragmenten.

Status Quo Museum?

Nach dem Tod von Vorbesitzer*innen sind Museen die ersten Anlaufstellen für Nachfahr*innen, die ein neues Zuhause für die Sammlungen suchen und sie sicher verwahrt wissen wollen. Den Puma übergaben die Nachfahren des Vorbesitzers 2023 dem Landesmuseum nebst weiteren Objekten als Geschenk. Jede Sammlungsannahme erfordert eine vorherige Prüfung durch den Fachbereich Provenienzforschung auf etwaige Unrechtskontexte, also z.B. Fälle illegalen Handels. Daran anknüpfend stellt sich die Frage, wie zu verfahren ist, wenn sich nachweisen lässt, dass ein Objekt entgegen geltender Gesetze gehandelt wurde – wie im Fall des Pumas, dessen Verkauf und Ausfuhr gegen das Gesetz von 1927 verstießen. Gerade weil »westliche« Museen lange Zeit vom »huaqueo« im westlichen Südamerika profitierten, stellt sich diesbezüglich die Frage: Machen sich Museen zu Kompliz*innen, wenn sie Objekte mit fragwürdiger Provenienz annehmen?

Nicht unbedingt, denn tatsächlich gibt es Überlegungen, Museen gezielt als »safe places« zu nutzen, die geplünderte archäologische Objekte annehmen, um sie vom freien Markt zu nehmen und zu verhindern, dass sie weiterhin unerkannt in privaten Sammlungen bleiben. Ein entsprechendes Gesetz forderte 2024 etwa der »Deutsche Verband für Archäologie«. Zudem ist entscheidend, wie sich ein Museum vor und nach der Annahme einer belasteten Sammlung verhält: Dazu gehört eine Prüfung der Provenienz, um betroffene Stücke zu identifizieren. Ein wichtiger zeitlicher Marker ist die UNESCO-Konvention von 1970, die zwar illegalen Handel nicht untersagte, aber sich dennoch symbolisch bedeutsam auf internationaler Ebene erstmals gegen den illegalen Handel mit Kulturgütern positionierte. Aus ethisch-moralischer Sicht dient sie somit heute für Museen als erster Richtwert. Im Fall des Pumas wurde in einem weiteren Schritt schnell deutlich, dass in Bolivien bereits mehrere Gesetze existierten, die den Handel mit bolivianischen Kulturgütern kriminalisierten. Daher entschied sich das Landesmuseum Hannover, den Besitz des Pumas bei der bolivianischen Botschaft in Deutschland anzuzeigen, um proaktiv Transparenz zu schaffen. Bis eine gemeinsame Entscheidung über seinen zukünftigen Verbleib getroffen ist, verweilt der Puma im »Status Quo Museum«, zwischen den verschiedenen Welten, die er durch seine Biografie miteinander in Berührung bringt.

Mut zur Lücke?

Die Präsentation »Status Quo Museum? Ein Puma zwischen den Welten« ist ein weiterer Weg zu mehr Sichtbarkeit. Indem die lange Kontinuität des »huaqueo« und dessen Verbindung zu deutschen Museen aufgezeigt wird, soll für die generell fragwürdigen Provenienzen präkolumbischer Archaeologica in deutschen Museen sensibilisiert werden: Kritisch hinterfragt werden können am Landesmuseum Hannover folglich ältere Bestände, namentlich die bereits angesprochene Sammlung Gretzer. Indem ein Objekt dieser Sammlung aus der Dauerausstellung entnommen wird und stattdessen in den WechselWelten zu sehen ist, wird bewusst eine Lücke eröffnet: Lassen sich Fehlstellen mit einer Institution vereinbaren, die normalerweise das »Bewahren« und »Ausstellen« als Kernelement ihrer Arbeit sieht? Und wie wirkt eine solche Lücke auf das Publikum? Mit dieser künstlich geschaffenen Auslassung inmitten der Sammlung Gretzer soll darüber hinaus ein Blick auf die Gegenseite gewagt werden, denn während die Regale in hiesigen Wohnzimmern und Museumsdepots gut gefüllt sind, hat der »huaqueo« in Bolivien oder Peru über die Jahrhunderte deutliche Lücken hinterlassen. Darauf macht etwa die UNESCO-Kampagne »¡Stop al tráfico ilícito!« aufmerksam, in der eine Mitarbeiterin Kinder durch ein fiktives »Museo del Patrimonio Cultural« führt – einziger Haken: in den Vitrinen befinden sich nur noch Fotografien der Ausstellungsstücke.

In »Status Quo Museum? Ein Puma zwischen den Welten« werden die WechselWelten zum Laboratorium und widmen sich last but not least der Frage, wie wir zukünftig die Geschichten restituierter Objekte erzählen können: Mit Fotografien, mit 3D-Modellen und, in jedem Fall, mit Mut zur Lücke.

 

Neugierig geworden? Mehr zur verwobenen Geschichte des Pumas von Tiahuanaco können Sie noch bis März 2025 in den WechselWelten des Landesmuseums Hannover erfahren.

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Louisa Hartmann, wissenschaftliche Volontärin in der Provenienzforschung am Landesmuseum Hannover und Mitarbeiterin im Netzwerk Provenienzforschung in Niedersachsen