Betrachte die Welt mal anders.
Nun streift er wieder durch die deutschen Wälder: der Wolf. Über den Zeitraum von ungefähr zehn Jahren hat die niedersächsische Landschaft eine Wildtierart zurückgewonnen. Und diese Art, Canis lupus wie der Wissenschaftler sagt, bewegt die Menschen im Lande: Auf der einen Seite wird die Wiederkehr begeistert gefeiert, auf der anderen Seite schlägt dem Wolf eine Welle der Angst und der Skepsis entgegen. Das Märchen vom »Rotkäppchen« hat seine Spuren in den Gedanken der Menschen hinterlassen und nach über 150 wolfslosen Jahren wissen wir kaum noch, wie man einem solchen Wildtier am besten begegnet.
Die gemeinsame Geschichte von Mensch und Wolf beginnt früh: Bereits vor über 10.000 Jahren erfolgten die ersten Schritte vom Wolf zum Haustier Hund. Doch während der Mensch sich diesen zum Gefährten erzog, blieb und bleibt der Wolf ein wildes Tier. Viele nordamerikanische Ethnien sahen den Wolf als Totemtier oder Bruder und integrierten Wolfsverhalten in ihre eigenen Jagdstrategien. In der nordischen Mythologie wurde der Göttervater Odin von zwei Wölfen begleitet. In der römischen Mythologie wurden Romulus und Remus, die Gründer der Stadt Rom, von einer Wölfin aufgenommen und aufgezogen.
Der Wolf ist für den Menschen normalerweise ungefährlich. Die Tiere gehen uns meist aus dem Weg – wobei junge Wölfe neugieriger sein können als erwachsene Tiere. Autos und Häuser werden vom Wolf nicht mit dem Menschen in Verbindung gebracht. Daher empfindet er sie nicht als Bedrohung und flüchtet nicht. Wenn Sie einem Wolf begegnen, bleiben Sie ruhig, halten sie Abstand und geben Sie dem Tier Zeit und Raum, sich zurückzuziehen.
Doch Vorsicht: Wer Wölfe füttert, gewöhnt die Tiere an die bequeme Nahrungsquelle. Dann können sie aufdringlich und eventuell gefährlich werden. Daher: Wölfe niemals füttern! In Gebieten mit Wolfsvorkommen sollten Abfälle, die Fressbares enthalten, sicher verschlossen gelagert werden, um eine passive Anfütterung zu vermeiden. Früher konnten auch tollwütige Tiere gefährlich werden, doch Deutschland ist seit 2008 anerkannt tollwutfrei. Eine weitere gefährliche Situation kann sich durch direkte Provokation durch den Menschen ergeben. Wenn der Wolf in Bedrängnis gebracht wird und keine Möglichkeit hat auszuweichen, kann es sein, dass er die Flucht nach vorne antritt.
Ob Pudel oder Chihuahua: Alle Hunde stammen vom Wolf ab. Manchmal ist das schwer zu glauben. Doch andere Hunderassen sehen dem Wolf sehr ähnlich, so dass es zu Verwechslungen kommt. Huskys oder Schäferhunde werden manchmal für Wölfe gehalten. Richtig schwierig wird die Unterscheidung bei Rassen, in die Wölfe eingekreuzt wurden, wie beim Tschechoslowakischen Wolfhund und dem Saarloos Wolfhund. Besonders aus großer Distanz oder wenn ein Tier nur ganz kurz gesehen wird, besteht Verwechslungsgefahr. Dann können auch Experten leicht mal ins Rätseln kommen.
Der Wolf wird oft als blutrünstiger Räuber dargestellt – aber ist er das auch? Was frisst überhaupt ein wildlebender Wolf und in welchen Mengen? Und wie kann ein Nutztier-Halter seine Schafe oder Hirsche vor dem Wolf schützen? Wölfe ernähren sich im Wesentlichen von Wildtieren. Allerdings kann es auch zu Übergriffen auf Nutztiere kommen. Der Wolf unterscheidet nicht zwischen erlaubter und unerlaubter Beute. Er jagt Tiere, die ohne große Anstrengung und Gefahr erbeutet werden können. In Wolfsgebieten ist es darum wichtig, dass vor allem Schafe, Ziegen und in Gehegen gehaltenes Wild durch wolfsabweisende Herdenschutzzäune geschützt sind. Dann lernen Wölfe gar nicht erst, dass Nutztiere leicht zu erbeuten sind.
Jahrhundertelang hat der Mensch seine Nutztiere vor Wölfen geschützt. Eine bewährte Methode, die wieder zum Einsatz kommt, sind Herdenschutzhunde. Diese speziell ausgebildeten Hunde wachsen unter Schafen auf und verteidigen sie als Teil ihrer Familie. Das Land Niedersachsen berät in allen Fragen zum Thema Herdenschutz und bietet Nutztierhaltern finanzielle Unterstützung, damit sie Schutzzäune errichten können. Kommt es trotz ausreichender Schutzmaßnahmen zu nachgewiesenen Wolfsrissen, wird der Schaden ersetzt. Vor Ort setzen sich vom Land ernannte, ehrenamtliche Wolfsberater für ein gutes Miteinander von Mensch und Wolf ein.
Nein, nicht jeder Wolf braucht einen eigenen »Zuständigen«. Grundsätzlich sind Biologen und Behörden aber aus vielerlei Gründen an der Beobachtung des Wolfs und seiner Rückkehr interessiert: Wo leben wie viele Wölfe? Wohin wandern sie? Wer ist mit wem verwandt? Was fressen sie? Wie viele Welpen ziehen sie auf? Und wie findet man das heraus? Wie bei andere Wildtieren auch: mittels aktive Sichtung und passiver Spuren-Sicherung z. B. über Pfotenabdrücke oder Kot.
Wölfe bewegen sich in einem großen Territorium und sind bei uns häufig in der Dämmerung und in der Nacht aktiv. Das macht es nicht leicht, sie zu beobachten. Daher müssen auch viele indirekte Hinweise ausgewertet werden: Sind das Wolfsspuren? Was sagen uns diese Beutereste? Um die Tiere direkt zu studieren und mehr über ihre Verhaltensweisen und Aufenthaltsorte zu erfahren, können einzelne Tiere auch mit Ortungssendern versehen werden. Es gibt zahlreiche Methoden, um Informationen über Wölfe und Wolfsfamilien zu erhalten. All diese Hinweise auszuwerten und sich ein Bild von dem aktuellen Zustand der Wolfsvorkommen zu machen, nennt man Monitoring. In erster Linie gilt das Monitoring dem Schutz des Wolfes. Alle EU-Länder sind verpflichtet, europaweit geschützte Tierarten wie den Wolf durch ein wissenschaftliches Monitoring zu begleiten. Sie müssen regelmäßig über die Populationsgröße und das Verbreitungsgebiet der Arten berichten. Ziel der europäischen Schutzbestimmungen sind stabile Bestände oder der sogenannte günstige Erhaltungszustand einer Population.