Vergiß mein nicht

Ein kooperatives Ausstellungsprojekt zum Día de Muertos

»Der Día de Muertos, der Tag der Toten, wird aus Liebe und Verbundenheit sich selbst und seinen Verstorbenen gegenüber gefeiert. Er ist mehr als nur eine Tradition. Er ist eine Art, die Welt zu sehen. Nimm dir etwas Zeit, um Dich an eine sehr nahestehende und geliebte Person zu erinnern, die gestorben ist. Erinnerst Du Dich an ihr Lieblingsgericht? Den Duft ihres Parfüms? Ihre Gesichtszüge? Die Feier des Día de Muertos erinnert an diejenigen, die von uns gegangenen sind, und macht sie lebendig. Alle freuen sich über das Zusammenkommen, die Lebenden sowie die Toten.«

Vier Personen, die in ihren Biografien auf unterschiedliche Weise eine Zugehörigkeit zur mexikanischen Kultur mit einem Leben und Alltag in Hannover verbinden, laden im November 2024 in die WechselWelten ein, um den Umgang mit dem Tod am Día de Muertos kennenzulernen und aktiv daran teilzunehmen. Denn der Tod unterscheidet nicht, er ist ein verbindendes Element.

Ofrendas

Ein zentraler Bestandteil des Día de Muertos, wie er in Mexiko und weltweit begangen wird, ist die Ofrenda, ein Gedenkaltar. Mit Gaben an der Ofrenda werden die Toten geehrt und gerufen. Jede Ofrenda ist einzigartig. So einzigartig wie die Person, die durch die Ofrenda geehrt und angerufen werden soll. Was waren ihr hervorstechenden Eigenschaften, ihren Gewohnheiten und Vorlieben? Auch kleine Souvenirs, die verbindenden Erinnerungen wachrufen, werden in die Ofrenda eingebaut. Blumen, Essen, Kerzen und Kopal sind hingegen wiederkehrende Elemente.

Um die Vielfalt zu zeigen, haben uns Angehörige der mexikanischen Community persönliche Fotos von Ofrendas geschickt, die sie in ihren Städten, Häusern und Büros in Mexiko, Deutschland und an anderen Orten der Welt für ihre eigenen Toten gebaut haben. Zusammen mit persönlichen, manchmal fast innigen Zitaten erlauben diese Bilder einen beeindruckenden Blick auf die Vielfalt dessen, was Ofrendas für die noch Lebenden und sich Erinnernden bedeuten.

Ofrendas, die Menschen in ihren Häusern und Wohnungen für ihre Verstorbenen Verwandten gestaltet haben.

Mit allen Sinnen

Auch durch Gerüche und Geschmäcker werden Erinnerungen wachgerufen. Neben Leibspeisen und Lieblingsdüften einzelner Personen, die in Ofrendas integriert werden, gibt es einige Gerüche, die zentraler Bestandteil der olfaktorischen Erlebniswelt des Día de Muertos sind. Dazu gehören insbesondere Cempasúchitl, auch Flor de Muerto (Blume der Toten) genannt, die einen intensiven Duft verströmen, der für viele untrennbar mit Día de Muertos in Verbindung steht. Wegen der konservatorischen Vorgaben in Ausstellungen können keine echten Cempasúchitl ihren Duft verströmen, wir behelfen uns mit getrockneten Blüten und ätherischen Ölen.
Die fotografischen Arbeiten, die der Photojournalist Axel Javier Sulzbacher von Cempasúchitl realisiert hat, erinnern uns daran, dass nicht nur die üppigen Blumendekorationen zum Día de Muertos einer langen, sorgfältigen und kleinteiligen Vorbereitung bedarf. Im Kleinen wie auch auf flächendeckenden Anbauflächen werden die Blumen im Vorfeld des Día de Muertos kultiviert, geerntet, vertrieben und millionenfach in Schmuckelemente eingewoben

Cempasúchitl Feld und Ernte. In der Ausstellung zeigen wir einige Aufnahmen des in Hannover lebenden deutsch-mexikanischen Photojournalisten Axel Javier Sulzbacher, der den Cempasúchitl-Anbau dokumentiert hat. © Axel Javier Sulzbacher.

Popkultur, Tourismus und Marketing

Alle lieben den Día de Muertos. Das Fest erfährt seit geraumer Zeit großes nationales und internationales Interesse. Zum einen wurde der Día de Muertos 2008 von der UNESCO als immateriellen Kulturerbe gelistet. Der mexikanische Staat wollte durch die Ernennung des „Indigenen Fest zu Ehren der Toten“ zum Kulturerbe Mexikos eine nationale Gemeinschaft schaffen und auf diese Weise indigene Identität wertschätzen. Aber viele Menschen verstehen das als politische Vereinnahmung. Sie fordern eine andere Anerkennung und Förderung der Rechte Indigener im heutigen Staat.
Gleichzeitig findet der Día de Muertos in zahlreichen Popkulturellen Produktionen eine Projektionsfläche. Herausragend ist der Film »James Bond 007 – Spectre« von 2015, dessen Eröffnungsszene vor einer Día de Muertos Parade in Mexiko-Stadt spielt. Diese Parade wurde in dieser Form für den Film erfunden, inspiriert durch die Allerheiligen-Paraden in kleinen Gemeinden wie Pátzcuaro und Cheran in Michoacán.
Der Bürgermeister von Mexiko-Stadt beschloss daraufhin, die Parade Wirklichkeit werden zu lassen, um wie er sagte die Erwartungen des Filmpublikums zu erfüllen. Seit 2016 zieht die Parade nun jährlich durch die Stadt.
Die Vermarktungsstrategien und die wachsende Popularität haben dazu geführt, dass ein nationaler und internationaler Tourismus tausende von Menschen zum Día de Muertos nach Mexiko treibt. Dieses Phänomen beeinflusst mehr und mehr das private und manchmal intime Gedenken an Verstorbene.

Klicke hier, um das Gespräch mit Roberto Justo Guzmán, Angehöriger des indigenen Volkes der Purépecha, über den Día de Muertos und Tourismus in Michoacán zu lesen. Das Gespräch führte Melina Schulze Ramos.

Und jetzt Du!

Was hat das alles mit mir zu tun? Jede lebende Person hat einen Termin mit dem Tod. Wir werden alle aus dem Leben gehen. Aber wie wünschen wir uns, den die uns überlebenden Personen in Erinnerung zu bleiben? Was macht uns aus? Was wünschen wir uns, werden unsere Freunde und Angehörigen einst auf die uns selbst gewidmete Ofrenda stellen, um sich an uns zu erinnern? Das kuratorische Team möchte alle einladen, am Día de Muertos teilzunehmen und das Thema des Tages mit dem eigenen Leben und Sterben zu verknüpfen. Der Día de Muertos soll damit als Fest eines allgemein menschlichen Themas unabhängig von der eigenen Kulturellen oder nationalen Identität verstanden werden.

Ofrenda im Landesmuseum 2014. © Landesmuseum Hannover.

Día de Muertos und Museum

Während in Mexiko der Día de Muertos im Privaten, im öffentlichen Raum und auf Friedhöfen begangen wird, feiert seit den späten 1990er Jahren die mexikanische Diaspora den Día de Muertos häufig in ethnologischen Museen oder vergleichbaren Kulturinstitutionen. Im Überseemuseum Bremen, dem Museum Fünf Kontinente in München, dem Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln, dem Humboldt Forum Berlin wird im November ein Tag, eine Themenwoche oder eine Ausstellung dem mexikanischen Totenfest gewidmet. Im Museum am Rothenbaum, Kulturen und Künste der Welt in Hamburg wird das „Mexikanische Totenfest“ 2024 bereits zum 30. Mal gefeiert! In Deutschland gibt es ganze Musikgruppen und Caterer, die sich darauf spezialisieren, den Día de Muertos in Museen auszurichten. Das Museum wurde so, ganz entlang dem musealen Selbstverständnis ethnologischer Museen der späten 90er und frühen 00er Jahre, zu einem Ort der gelebten Folklore, an dem die mexikanische Community und eine interessierte, breite Öffentlichkeit in einem rauschenden Fest den Tag der Toten zelebriert. Auch im Landesmuseum Hannover wurden in den Jahren 1996, 1997, 2000, 2002, 2005 und 2014 eine Ofrenda zu Día de Muertos aufgebaut. In diesem Zusammenhang sind auch zahlreiche Skulpturen und Dekorationselement einer Ofrenda in die ethnologische Sammlung des Landesmuseums eingegangen.

Skulpturen und Figuren des Día de Muertos, die als Teil der ethnologischen Sammlung des Landesmuseum Hannover musealisiert wurden. © Landesmuseum Hannover

Das Landesmuseum Hannover ist auch im Jahr 2024 Gastgeberin des vom Deutsch-Mexikanischen Freundeskreis in Niedersachsen e.V. (SOMAC) in Zusammenarbeit mit der Honorarkonsulin für Mexiko in Hannover ausgerichteten Día des Muertos.
Bei den anlässlich des Día de Muertos veranstalteten Feste kann man oft beobachten, dass verbreitete Stereotype bedient und eine Exotisierung des mexikanischen Totengedenkens befördert wird. Dem eine Alternative zu bieten, ist Anlass und Anliegen dieser Ausstellung.

Kooperatives Projekt

Um die Ausstellung zu entwickeln und zu gestalten hat sich ein kuratorisches Ausstellungsteam zusammengefunden. Melina Schulze Ramos, Jorge Esteban Jimenez Zamora, Alí Michel Angulo Martínez und Manuel Chávez Ortega haben sich den Sommer 2024 über regelmäßig mit Kuratorin Mareike Späth getroffen und sich intensiv mit dem Día de Muertos befasst.

Was ist für Dich das Wichtigste am Día de Muertos? Welches Gefühl erinnert Dich an den Día de Muertos? Welches Objekt, welchen Gegenstand verbindest Du mit Día de Muertos? Gibt es unterschiedliche Día de Muertos und wenn ja, wie unterscheiden sie sich? Wessen Stimme sollte Deiner Meinung nach in der Ausstellung zu hören/lesen sein? Was möchtest Du dem Hannöverschen Publikum über Día de Muertos sagen? In langen, gemeinsamen Gesprächen wurde sich anhand dieser Leitfragen darüber ausgetauscht, was den Día de Muertos ausmacht und was er für jede*n Einzelnen*n bedeutet. Aus den Überlegungen und Antworten auf diese Frage formte sich eine Ausstellung, die den Día de Muertos als persönliche und intime Begegnung mit vermissten Verstorbenen und sich selbst verstehen möchte. Der gewählte kuratorische Ansatz möchte die Vielfalt der gelebten Praktiken und Ausgestaltungsmöglichkeiten betonen und unterschiedliche Perspektiven auf den Día de Muertos einfangen, in dem eine Vielzahl von Stimmen aus der (deutsch-)mexikanischen Community in der Ausstellung zur Sprache kommen.

Das kuratorische Team Melina Schulze Ramos, Jorge Esteban Jimenez Zamora, Alí Michel Angulo Martínez und Manuel Chávez Ortega mit Mareike Späth und Matthias Ebenhöch bei der Vorbereitung der Ausstellung. © Landesmuseum Hannover

Immer wieder kehrten die Gespräche dabei auch darauf zurück, was es bedeutet, dass der Día de Muertos in einem Museum gefeiert wird und dass Skulpturen, Papel picado, und Cempasúchitl, die sonst eine Ofrenda zieren, in Museumsobjekte bewahrt werden. Was bedeutet es, dass Gestaltungelemente einer als lebendig empfundenen Ofrenda musealisiert und damit besonderen Handhabungspraktiken unterzogen werden. Was bedeutet es, dass ein gelebtes, immateriellen Fest in dieser materialisierten Form vom Museum konserviert und reduziert wird?

Lieber tot als im Depot

»Das Depot ist das riesige Lager, in dem alle Museumsobjekte liegen. Sie werden in luftdichten Kammern konserviert und hinter Glastüren verschlossen. Sie dürfen nicht altern. So warten diese Objekte vor sich hin, bis einige von ihnen für eine Ausstellung erwählt werden.
In der Ausstellung stehen sie wieder hinter Glastüren, können nun aber zumindest gesehen werden. Texte müssen ihre Bedeutung erklären, denn aus ihrem Kontext entfernt, ergeben die Dinge keinen Sinn mehr. Viele der Objekte in unserer Vitrine standen vor ungefähr 20 Jahren auf einer Ofrenda zum Día de Muertos hier in Hannover. Sie wurden dann in das Inventar des Museums aufgenommen und haben seither nie wieder einen Altar gesehen. Nur in so einer Vitrine dürfen sie stehen. Die schönen Scherenschnittbilder werden nie wieder im Freien hängen, sie werden nie wieder vom Winde bewegt. Es ist schön und wichtig, dass die Objekte des Día de Muertos musealisiert werden. Aber irgendwie auch makaber.«

Die Toten des Museums

Das Museum selbst hat seine eigenen Toten. Manchen können wir in den Ausstellungen begegnen, weitere Tote haben einen Ruheplatz in den Depots. Diese Menschen, deren sterbliche Überreste das Museum beherbergt, haben gelebt wie Du und ich. Sie hatten Verwandte, Freunde und Nachkommen, die ihren Tod betrauert und sie aufwendig bestattet haben. Ihre Gräber sind für Archäolog*innen aufschlussreiche Quellen und werden für die Forschung geöffnet und ausgebeutet.
Manchen von diesen Menschen sind schon so lange tot, dass keine heute lebenden Menschen sich mehr an sie erinnern. Andere aber, die auf gewaltvolle und unrechtmäßige Weise aus ihren Ruhestätten entnommen und zu Forschung- und Museumsobjekten gemacht wurden, werden bis heute von Ihren Nachfahren vermisst. Aus den Depots den Landesmuseums wurden daher Gebeine von zwei Personen nach Australien und Namibia repatriiert. Nehmen wir den Día de Muertos zum Anlass, all diesen Toten zu gedenken.

Tuch, das von den Familienangehörigen gestaltet wurde, um die zurückkehrenden Gebeine einer Person aus dem Landesmuseum nach Australien zu begrüßen. © Landesmuseum Hannover

Sie möchten mehr über den Día de Muertos erfahren und über das Leben, den Tod und das Erinnern nachdenken?
Besuchen Sie die Ausstellung »Vergiß mein nicht« bis zum 8. Dezember 2024 in den WechselWelten des Landesmuseum Hannover.

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Mareike Späth, Kuratorin der Ethnologischen Sammlung am Landesmuseum Hannover, mit Manuel Chávez Ortega, Melina Schulze Ramos, Jorge Esteban Jimenez Zamora und Alí Michel Angulo Martínez.