Wotan in the Box I

Jetzt sitze ich hier auf meinem magischen Thron Hlidskialf wieder für ein paar Monate in dieser Kiste. Äh, Leute, das kann so aber nicht funktionieren. Ihr sagt doch immer, dass ich auf die niedersächsische Staatskanzlei blicke und über die Landespolitik wache?!…oh ok, dann also doch nur in den Sommermonaten. In der Schlechtwetterperiode werde ich wohl weiterhin »eingehaust«. Nur zu meinem Schutz? Mhhhhh….

Germane von Haus aus

Ich bin Wotan! So nennen mich jedenfalls die Leute aus dem Landesmuseum, darunter mein »Biograph«, der Kunsthistoriker aus dem Landesmuseum in meinem Rücken. Immerhin weiß er, dass Richard Wagner im 19. Jahrhundert meinen Namen eingedeutscht hat, man mich davor also doch eher Wodan nannte. Das war ein ziemlich bunter und turbulenter Germanenkult am Ende des 19. Jahrhunderts. Schon viel früher haben die Briten sogar einen Wochentag nach mir benannt: Wednesday. Es hat lange gedauert, bis ich mich damit abgefunden habe, dass Ihr nur für meinen Kollegen Thor einen eigenen Wochentag reserviert habt. Ihr kontinentalen Germanen kennt ihn wohl besser als den »Donnerer«, also Donar, der mit dem Hammer. Ich komme ja soweit ganz gut mit ihm aus; ich lasse ihm einfach seinen eigenen Kopf – und der ist wahrlich eigen, manchmal ein bisschen hitzig. Dann regt er sich fürchterlich auf und schlägt vor Empörung mit Mjölnir, seinem magischen Hammer, den die Zwerge Sindri und Brokk geschmiedet haben.

Ein alter Influencer

Zurück zu mir: Die Museumsleute im speziellen meinten mit »Wotan« über Generationen eigentlich niemals mich in persona, sondern lediglich die Skulptur, die gleich hinter dem Museum auf der Wiese steht oder besser: auf der gepflegten Rasenfläche eines Gartendenkmals eingehegt von einer noch gepflegteren Buchsbaumhecke – und das immerhin seit 1901! Darauf bilde ich mir schon etwas ein, denn das Haus in meinem Rücken wurde ja erst 1902, also nach meiner Aufstellung eröffnet. Wenn man so will, dann bin ich doch so etwas wie ein Fundament. Mindestens ein bekanntes und repräsentatives Gesicht des Hauses – nach außen hin, jedenfalls im Sommer. Schon gut, schon klar, die kleine Pause der Bergung von 1943 bis zur Neuaufstellung 1987 will ich nicht verschweigen – sonst meldet sich noch mein Schreiberling zu Wort, auf dessen Datenblatt ganz nüchtern zu lesen steht: Es war der Bildhauer Friedrich Wilhelm Engelhard (Grünhagen 1813 – 1902 Hannover), der die Figur des höchsten germanischen Gottes zwischen 1884 und 1889 aus Savonnière Kalkstein herausgearbeitet hat.

Eine Behausung gegen Kälte

…und diesen kunstvoll behauenen Stein gilt es wohl zu schützen: nicht vor Vandalismus wohlgemerkt, sondern vielmehr vor den Witterungsbedingen in der kalten Jahreszeit. Mhhhh…und das einem nordischen Kriegsgott…
Immerhin hat sich dieser neuartigen Behausung auch wieder ein Künstler angenommen; aber dazu dann beim nächsten Mal mehr…

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Dr. Thomas Andratschke, Kurator
Sofern er nicht den Privatsekretär von unserem Wotan mimt, streift er begeistert durch die Kunstgeschichte und ist dabei nur schwer zu bremsen.